EIN NEU ENTDECKTER HEGEL- BRIEF VOM 22. MÄRZ 1826

HEGELS
BRIEF
(NEUE ENTDECKUNG – 2014/2015)

An  Herrn Schulz
Geschätzte Marggr. St. N 10 (= Markgrafenstr 10) -.
In der angenehmen Hoffnung,
die Sie mir neulich gemacht, einem
Besuch von Ihnen entgegensehen zu
dürffen, bin ich so frey bey Ihnen
anzufragen, ob Sie heute Abend ab-
kommen können, und in diesem Falle
Sie su bitten, mir diesen Abend
zu schenken.

Hochachtungsvollst
Ihr
ergebenster

Prof. Hegel 22/3/ 26 (= 03.22.1826).

Bearbeitet von

Dott. Massimiliano Polselli

<Wissenschaftjournalist und Direktor von der italianischen philosophischen Zeitschrift  “Consecutio Temporum. Rivista critica della postmodernità “

<Der Brief ist das Eigentum von der  italianischen philosophischen Zeitschrift  “Consecutio Temporum. Rivista critica della postmodernità ” – ALL RIGHTS RESERVETED  “Consecutio Temporum. Rivista critica della postmodernità >


Burkhard Mojsisch ( Ruhr-Università Bochum)

Klaus J. Schmidt. ( Ruhr – Università Bochum)

Erläuterungen. Hegels werbende Worte ” Hoffnung”, ” Besuch…entgegensehen zu dürfen” sowie ” mir diesen Abend zu schenken” – besitzen eine ernst gemeinte Bedeutung. Denn hinter Adressaten verbirgt sich ” mit hoher Wahrscheinlichkeit” eine damals in Berlin stadtbekannte und beliebte Persönlichkeit, um die sich zahlreiche Anekdoten rankten. Darüber hinaus sieht Hegel, wie darzulegen ist, eine Palette von Berührungspunkten zu dem Adressaten. Der Adressat, Friedrich Schulz, manchmal Schulz geschrieben, wurde am 20.3.1766 in Kyritz geboren. Er starb am 17.4.1845 in Berlin. Der volle Vorname ist Johann Kaspar Friedrich Schulz war Kammergerichtsreferendar, Justizrat, Geheimer Justizrat 1, später möglicherweise Hofrat im Ministerium

von Altenstein. Im Laufe seiner juristischen Tätigkeit privatisierte Schulz irgendwann und trat vor allem als Theaterkritiker in Erscheinung. Sein Pseudonym lautete: Eulalia Meinau. Schulz war Mitglied der von Achim von Arnim gegründeten Christlich-deutschen Tischgesellschaft, zu der u.a. Clemens Brentano, Fichte, Kleist, Adam Muller gehörten. Schulz schrieb Theaterkritiken zunächst für die Zeitschrift “Brennus, eine Zeitschrift fur das nördliche Deutschland”, 2 dann in den von Heinrich von Kleist herausgegeben “Berliner Abendblättern 1810/1811 – abwechselnd u.a. mit Kleist und Achim von Arnim -3,  schliesslich in der Haude – Spenerischen Zeitung – abwechselnd u.a. mit v. Arnim. Die Theaterkritiken der letzten Gruppe hebt Goethe lobend hervor: ” Die Rezensionen der Haude”- und Spenerischen Zeitung mag ich gerne lesen” schreibt er am 18.1.1826 an Zelter. 1827 notiert Goethe in seinem Tagebuch: ” ich las die Geschichte des Berliner Theaters von Friedrich Schulz” 4. Auf dem Hintergrund der Verbindung des letzteren mit dem Theater erklärt sich dessen Spitzname Theater-Schulz. In der Reihe “Kunst und Altertum” von 1823 Zeichnet Goethe Schulz zweimal aus – allerdings ohne Namensnennung 5. Das erste Mal heisst es :Einer aber tritt besonders hervor, dem das Gluck die Gunst erwies, dass er lange her gedenkt”. Nach Goethe interessiert sich Schulz sowohl für das” Ganze” als auch für das ” Einzelne”, fur das Vergangene, um es anschaulich mit dem ” wirklich Gegenwärtigen” zu vergleichen. Gerade diese Komponenten bilden für Goethe die notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Zugang zur Kunst 6. In der zweiten Erwahnung bezeichnet Goethe Schulz als ” Sinnesgenossen”, dem er im Hinblick auf das Theater nicht nur eine 50-Jährige Erfahrung bestätigt, sondern auch ein ” geistreiches Urteil”, das er in ” gehaltvollen Worten”, ” recht anmutig walten” lasse. In diesem Zusammenhang äussert er die Hoffnung, dass Schulz noch lange mit seiner Tatigkeit fortfahren möge.7 1824 zählte Schulz zu Goethes Geburtstagsgästen. 8 Da sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Hegel unter den Geburtstagsgästen befand, dürfte seine Bekanntschaft mit Schulz zumindest seit diesem Zeitpunkt bestanden haben.Goethes Lob für Schulz muss Hegel bekannt gewesen sein, denn er las und schätzte die Reihe ” Kunst und Altertum”, wie aus seinem Briefwechsel, aber auch aus den Vorlesungen über Ästhetik hervorgeht 9. Doch Hegel las diese Reihe nicht nur, vielmehr teilte er Goethe ahnliche Stellen aus anderen Kontexten mit 10. Darüber hinaus konnte man Hegel bis zu einem gewissen Grad zu den Sinnesgenossen rechnen, denn das Zusammenwirken von Ganzem und Einzelheit sowie das “wirklich” Gegenwärtige erhebt auch zu seinen zentralen Inhalten […]. Mit Schulz verband Hegel ferner neben der Liebe zum Theater auch eine Abwertung Kotzebues, die mit einer Verehrung Goethes einherging. Hegel stellt in seiner Ästhetik Kotzebue und Goethe angesichts des Verhältnisses der Innerlichkeit und der zu ihr gehorenden Ausserlichkeit gegeneinander check this site out. Aufgabe der Kunst ist es nach Hegel, das geistige Innere, die absolute Idee, adäquat im Äusserlichen, in der Sinnlichkeit, darzustellen. Diese Aufgabe wird allerdings nicht nur in der Ästhetik formuliert, vielmehr besitzt sie für das gesamte auf der Wissenschaft der Logik aufbauende System Gültigkeit. In der Logik ist es der absolute Begriff, der sich seine adäquate Realität verschafft, um sich als Idee zu gestalten 11[…]. Während Kotzebue bei der Äusserlichkeit lediglich zu einer alltäglichen, banalen Wirklichkeit gelange, womit er gerade den ” Zweck der Kunst” verfehle, sei Goethe zu einer der ” schönsten” Darstellungen des Verhältnissen von Innerem und Äusserem vorgedrungen. 12 Was dagegen die Beurteilung der Romantik anbelangt, so werden sich bei Hegel und Schulz gegensätzliche Urteile eingestellt haben. Während Schulz eindeutig zur Gruppe Arnim, Brentano und Kleist gehört 13, besitzt Hegel gerade zu dieser Gruppe ein eher distanziertes, wenn nicht sogar negatives Verhältnis. Die ohnehin wenigen Bemerkungen, die Hegel dieser Gruppe widmet, fallen sämtlich pejorativ aus. Arnim und Brentano werden in der Ästhetik lediglich mit einer Bemerkung zu ” Des Knaben Wunderhorn” berücksichtigt. Sie greift wiederum auf das Verhältnis des Inneren und Äusseren zurück, um Arnim und Brentano ” teils rohe, teils abgeschmackte Äusserlichkeiten” zu attestieren 14. Hegels Kritik an Heinrich von Kleist, E. T. A. Hoffmann sowie an der romantischen Ironie vollzieht sich auf der Basis des absoluten Begriffs. Der absolute Begriff, das Allgemeine, ist weder dem Übergang (Seinslogik) noch der Relation (Wesenslogik) ausgesetzt. ” Das wahrhafte, unendliche Allgemeine” realisiert sich als Besonderheit und Einzelheit. 15.[…]. Ganzes und Einzelnes, die Pole, die Goethe an Schulz hervorhebt, konstituiren sich bei Hegel  im “Prozess der Besonderung des Allgemeinen zur Einzelheit. Als Zielpunkt dieses Prozesses tritt in der Wissenschaft der Logik dasabsolute Subjekt, die absolute Idee auf 16[…]. In der Ästhetik zeigt sich der ganzheitliche Begriff zunachst als in sich geschlossene Individualität, als heroisches Selbstbewusstsein, das sich fur das sittliche Ganze einsetzt, als idealer Charakter, der aus seiner seligen Ruhe heraustritt und “aus sich selbst”‘ nicht fremdbestimmt handelt und alle Schuld seines Handelns auf sich nimmt 17.Hegel schreibt diese “unmittelbare Einheit” von geistiger Substanz und Individuum der klassischen Tugend des antiken Griechenlandes zu. 18 Diese unmittelbare Einheit von geistiger Substanz und Individuum vermag sich in der Geschichte nicht zu halten, sie weicht in der Neuzeit einer in sich strukturierten, nach innen orientierten Individualität 19. Die neuzeitliche Kunst durchbricht demgemäss die unmittelbare Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit zu Gunsten der freien, selbstständigen Subjektivität 20. Die auf der christlichen Offenbarung beruhende Errungenschaft der Freiheit 21 gerat allerdings genau dann in Gefahr, wenn die Zwecke der Gesamtheit “persönlichen Zwecken” geopfert werden 22. Auf dem Hintergrund des Systemganzen wirft Hegel Kleist, Hoffmann wie auch der ” neueren Ironie” vor, die auf dem ganzheitlichen Begriff beruhende freie Subjektivität zu verfehlen. Indem die Gestalten dieser zeitgenõssischen Poeten nicht aus sich selbst handeln, sondern von ” dunklen Mächten…regiert” werden, unterliegen sie einer Trasformation ins ” Nebulose, Eitle und Leere”. Statt aus der eigenen Lebendigkeit zu agieren, liefern sie ein Gegenmodell zu einer freien, in sich selbst bestimmten Individualität. Als Gegenpol verweist Hegel auf Schiller 23. Schulz wurde noch mit einem zweiten Spitznamen versehen: Spuckschulz. Ludwig Rellstab, der Dichter einer Reihe von Schubertliedern, unter denen das bekannteste ” Ständchen, Leise flehen meine Lieder durch die Nacht zu Dir” sein durfte, verweist 1826 in seinem satirischen Roman “Henriette oder die schone Sängerin”24 mit dem verfremdeten Namen ” Puckbulz” auf ihn. Bei der Titelfigur des Romans handelt es sich um eine reale Person, nämlich um die zu diesem Zeitpunkt – 1826 – in Berlin lebende Henriette Sontag., eine der im damaligen Europa führenden Sopranistinnen. Carl Maria von Weber übertrug ihr die Titelrolle in seiner Oper ” Euryanthe”. Bei der Uraufführung von Beethovens 9. Sinfonie sang sie die Sopranrolle. Im Roman selbst verköpert die ebenfalls reale Auguste ( Stich, Crelinger) eine ihrer Gegenspielerinnen. Auch sie lebt um 1826 in Berlin – als Schauspielerin.Der autor des Romans, Rellstab, bezeichnet Schulz (Puckbulz) als besten Freund von Auguste, der eine Rezension gegen Henriette Sontag schreiben konne. Hegel war mit beiden Damen bekannt. An Auguste Stich existiert ein Brief Hegels aus dieser Zeit 25, in dem er eine Einladung von ihr annimmt. Weke von Friedrich Schulz:  ” Berlinische Dramaturgie, eine Besprechung der Theatervorgänge der verflossenen zwei Jahre, 1799″ , ” Kurze Geschichte des Berliner Theaters” 26, ” Das befreite Kyritz”.


1. Nicht zu verwechseln mit Friedrich Schulz, der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts legge.

2  Erna Arnold, Goethes Berliner Beziehungen, Gotha 1925, S. 107/8 und S. 111.

3  Roland Steig, Heinrich von Kleist’s Berline Kämpfe, Bern 1971, S. 188, 192, 223-226.

4  Arnhold, a. a. O., S. 128.

5  . Arnhold, a. a. O., S. 397

6  Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher un Gespräche. Ästhetische SSchriften, 1821-1824. Bd. 21, Hrsg.: Stefano Greif und Andrea Rushlig, Frankfurt am Ma in 1998, S. 359.

7  Ebd. S. 500.

8  Arnhold, a. a. O., S. 358-361

9 G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II, Werke 14, Hrsg.: Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1986, S. 425/6.

10 G.W.F. Hegel: Briefe, Bd. III, Hrsgb: Johannes Hoffmeister, Hamburg 1969, S. 84/5

11 G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Werke 6, S. 265/6 und 464/5.

12 G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke 13, S. 373/4

13 In seinem Aufsatz ” Etwas über Landschaftsmalerei” fixiert Adam Müller die Aufgabe der letzteren. Sie bestehe darin, die Natur gegenüber ihren ” zerstreuten Teilen” in ihrer göttlichen Einheit, die über das Zufällige hinaus gehe, allegorisch darzustellen. Diese Aufgabe habe Caspar David Friedrich gelöst ( Steig 251). Arnim, Brentano und Kleist bewerteten Friedrich durchaus unterschiedlich (Steig 264-267).

14 Ebd. S. 374/5.

15 G.W.F.Hegel: Wissenschaft der Logik, Werke 6, S. 279 und 519/20

16 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Werke 10, § 213

17 G.W.F. HeHegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke 13, S. 237, 246/7, 306, 312.

18 Ebd. S. 243/4

19 Franz Schubert verabschiedet sich in seinem Lied An Leier  von den antiken Heroen, indem er “Saiten” anschlägt, die “nur Liebe” erklingen lassen.

20 G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II, Werke 14, S. 127/8

21 G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, Werke 10, S. 301/2 § 482

22 G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I, Werke 13, S. 246/7

23 Ebd. S. 314/5.

24  Ludwig Rellstab: Henriette oder die schöne Sängerin. Veröffentlicht unter dem Pseudonym Frei und Zuschauer. Leipzig 1826. Wieder aufgelegt unter dem richtigen Namen Ludwig Rellstab, Bielefeld 2008, S. 20.

25 Das Jahr ist nicht genau datierbar

26 Goethe. Tagebuch vom 27. 12. 1827


Si ringrazia l’ Academia Verlag per la gentile concessione drei diritti d’autore in riferimento al volume 15-17 /2014. EDITION

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